Einleitung Verpeilen und Konjunktivitis sind enge Freunde. “Müsste man mal.” “Sollte ich heute machen.” “Ich muss endlich xy erledigen.” “Ich habe verschlafen.” “Ich habs vergessen.” Wenn solche Sätze bestimmend für dein Leben sind, könnte es sein, dass du willkommen im engeren Kreis der Verpeiler bist. Auf der einen Seite entbehrt es nicht einem gewissen Humor, jemanden während der Diplomarbeit geradezu manisch die Wohnung putzen zu sehen - auf der anderen Seite bedeutet Verpeiler zu sein, immer unzufrieden mit sich zu sein und von anderen als unzuverlässig eingestuft zu werden. Es bedeutet, mit zunehmendem Alter immer mehr zu kapieren, welche Chance man nicht wahrgenommen hat - nicht, weil man nicht wollte, sondern weil man es schlicht nicht gebacken bekommen hat. Es bedeutet, zu spannenden Projekten nicht mehr eingeladen zu werden, weil man als Verpeiler gilt. Manche verpeilen auch das Leben mit ihrer Freundin oder haben mehrere Tausend Währungseinheiten Steuerschulden, weil sie die 5,6 Stunden des Steuerpapiere sortierens nicht hinbekommen. Es gibt kleines Verpeilen wie sich auf den letzten Drücker an der Uni zurückzumelden, aber auch grosses Verpeilen, wie das Abi nicht zu schaffen oder so oft durch das Diplom zu fallen, bis man nicht mehr darf. Verpeilen bedeutet, sehr unzufrieden mit sich selbst zu sein und irgendwann den Wunsch zu haben, einfach nur tun zu können, was man sich vorgenommen hat. Produktiv sein heisst nicht im kapitalistischen Sinne total effizient das letzte bisschen Kraft aus sich heraus zu arbeiten - das ist ebenso problematisch wie gar nichts geregelt kriegen. Ich rede hier von der zufrieden machendenden Produktivität wie das Lieblings Open Source Projekt zu programmieren, von dem man träumt, den Sprachkurs endlich zu machen, den man schon immer machen wollte, das Abi zu kriegen, weil man ansich schlau genug ist, die Diplomarbeit endlich abzuliefern, damit es endlich vorbei ist, den Job zu behalten, weil man endlich sein Zeug erledigt bekommt, keine Steuerprobleme zu haben, weil man die Papiere abliefert, eine halbwegs freundliche Wohnung zu haben, in der man sich wohlfühlt, wenn man nach Hause kommt, die Kühlschranktür zu öffnen und mehr als nur Tiefkühlpizza vorzufinden, sich mehr um seine Gesundheit zu kümmern, weil man einfach nicht mehr 20 ist, das Howto zu schreiben, was man schon lange im Kopf hat.. :) Es geht also darum: Ich tue einfach das, was ich mir vorgenommen habe, zu tun. Risiken und Nebenwirkungen des Antiverpeilens Wenn du dieses Howto liest, wirst du vieles wieder finden, was du kennst. Du wirst eine Lösungsmöglichkeit vor Augen haben. Du wirst total euphorisch das Gefühl haben, jetzt wird alles gut. Wird es - wenn du dir klar machst, dass das nicht von heute auf morgen geht. Ich sehe, dass die Leute, die mit dem Antiverpeilen anfangen, erstmal total euphorisch sind. Der erste Tag läuft super. Damit ist es leider nicht getan. Es muss 3 Tage, 20 Tage, 100 Tage “gut genug” laufen. Du wirst Rückschläge haben, 2,3 Tage zurückfallen, rumzicken und mit dir selbst feilschen “Nur 5 Minuten länger vchat!” “Noch diese Newsseite!” “Nur noch diesen Level Quake!” “Nur ne Viertel Stunde weiterschlafen!” Du kannst dem nachgeben - aber dann arbeitest du nicht gegen das Verpeilen an. Du wirst leider konsequent und mit viel Kraft und viel dich selbst dahin überreden wieder und wieder dich an den Schreibtisch oder an den Putzlappen, Steuerpapiere usw. überwinden müssen. Es wird einfach nach 2,3 Tage sehr schwer, weil deine alten Gewohnheiten, die psychologische Vertrauheit des Verpeilens voll zuschlagen. Es fühlt sich KACKE an am Anfang. Antiverpeilen ist anfangs eine Qual. Das ist total ungeil und schwierig. Du bist unruhig, unkonzentriert und genervt. Es macht einfach keine Spass. Es wird erst im Laufe der Zeit besser, einfacher und dann auch bequemer produktiv zu sein. Irgendwann dann wird der Spass wieder kommen, weil du Dinge hinbekommst. Weil deine Projekte vor dir liegen. Weil du die überraschten Blicke deiner Kollegen ob deiner neugewonnenen Pünktlichkeit siehst. Sonn dich drin - aber es dauert eben einfach 3 Monate, bis es einfacher wird. Wie zeigt sich Verpeilen? * Du kriegst dein Zimmer nicht aufgeräumt, obwohl du es eklig findest * Du hast Steuerschulden ohne Ende, weil du deine Unterlagen nicht ablieferst * Du kommst immer zu spät * Du bist viel zu oft bekifft * Du hängst Stunden im vchat, MUD, IRC, Newstickern, Mailinglisten, Computer-Spielen * Du bist unzufrieden mit dir selbst, weil du merkst, wie sehr du dich selbst behinderst * Du hast Schulden in beliebiger Höhe * Du fühlst dich unwohl, weil du genau weisst, dass du dir selbst schadest * Du machst nicht, was du dir vorgenommen hast, aber auch nicht, was dir Spass macht * Du hast Probleme im Job * Du hast keinen Job mehr * Du bewunderst Leute, die total viele Projekte machen * Du hast dein Abi oder Uni nicht gepackt, obwohl du schlau genug bist * Du hast kein Geld mehr, um dein Diplom fertig zu machen * Du hast deine Gesundheit total vernachlässigt - zum Beispiel, weil du abends nie Zähne putzt * Du findest nahezu nie etwas zu Essen in deinem Kühlschrank * Du schmeisst Behördenbriefe ungeöffnet weg * Du hast einen reichen Ausredenfundus. Deine Grossmutter ist mind. 5 Mal gestorben, dein Mailfolder mind. 10 Mal kaputt.. * Du stellst fest, dass du noch nie geschafft hast, was du eigentlich wolltest * Du fühlst dich total verkannt, wo du doch eigentlich so brilliant bist * Du findest alles Scheisse und man muss das jetzt mal RICHTIG machen und deswegen fängst du gar nicht erst an * Du hängst dich an produktive Leute, die dich mitziehen * Du hängst in 17 Projekten drin, die nie fertig werden. * Du wirst nirgends mit einbezogen, weil du unzuverlässig bist * Du hältst Zusagen nicht ein * Du arbeitest weder richtig - noch gönnst du dir echte Freizeit * Du lügst Leute an, weil du Zusagen nicht einhältst Wie man sieht, kann man in jedem beliebigen Lebensbereich verpeilen. Die meisten Verpeiler haben einen bevorzugten Verpeilbereich, während andere Lebensbereiche klappen. Manche sind im Job produktiv, aber ihne Wohnung sieht aus wie eine Müllhalde (und ich meine hier wirklich MÜLLHALDE). Andere sind total ordentlich, kriegen aber nie auch nur eine Zeile Code hin. Kurz, es gibt noch Hoffnung, denn die wenigstens sind total restlos verpeilt. Allen Verpeilungen ist gemein, dass man sich einfach unzufrieden oder sogar deprimiert fühlt, eben weil man nicht auf die Reihe bekommt, was man sich vorgenommen hat. Manchmal muss man eben auch hinkriegen, was man nicht tun will - um einen Doktortitel zu haben, muss man nun mal seine Dissertation auch fertig stellen und abgeben - oder ein paar Währungseinheiten auf den Tisch legen. Steuerpapiere macht kaum jemand gern - wenn doch, solltest du mit deinem Hausarzt reden. ;) Manche Leute verpeilen allerdings so schlimm, dass die nicht mal mehr tun können, was ihnen früher mal Spass gemacht hat. Sie schaffen schlicht nichts mehr ausser abhängen, fernsehen, News lesen, sich von Tag zu Tag treiben lassen, verkriechen sich im Job vor einer Beurteilung oder brechen das Studium einfach ab. Bist du wirklich faul - dann ist das egal, denn du bist nicht unzufrieden damit oder hast ein schlechtes Gewissen, weil du eigentlich etwas anderes tun möchtest. Verpeilen ist aber etwas anderes als wirklich faul sein. Wichtigstes Kennzeichen des Verpeilens ist, dass du nicht tust, was du dir vorgenommen hast, sondern stattdessen auf dein individuelles Verpeilen ausweichst! |